Über die Autorin: Anna Bart (*1988 in Rosental, RU) ist freischaffende Künstlerin und lebt mit dem japanischen Künstler Ryosuke Aratani und ihrem gemeinsamen Sohn Issei (3) in Bremen. Wenn sie nicht gerade in Japan reist oder eine Malerei Installation für eine Ausstellung erarbeitet, recherchiert sie gerne in Blogs und Onlineforen zum Thema Elternschaft.

Anna Bart, 2. Oktober 2021

Elternschaft im Kunstbetrieb

Gedankenkarussell einer Künstlerin und Mutter

Eines vorweg: dieser Text ist nicht nur für Eltern. Denn mit einem Kind zusammen zu leben ist etwas, das prinzipiell jede:r¹ erleben kann, wenn jemand sich dafür entscheidet. Gleichzeitig ist es etwas, das sowohl die eigene (künstlerische) Arbeit und Denkweise als auch die Partizipation am Kunstbetrieb komplett verändert. Hier soll es sich nicht um eine einseitige Kritik am System handeln, sondern darum, einen Bogen zu schlagen und das Potenzial von Elternschaft im Kunstbetrieb, hier vor allem in der Bildenden Kunst, ansatzweise aufzuzeigen. Schon im Zuge der Feminismusbewegung stehen seit Jahrzehnten weibliche und queere künstlerische Positionen auf dem Programm vieler zeitgenössischer Kunstausstellungen, welche einen kritischen Fokus beispielsweise auf das Mutterbild legen.² Zudem ist während der Pandemie mehr denn je sichtbar geworden, welche wirtschaftlichen und sozialen Probleme es schon vorher bei den freiberuflich Tätigen und ihren Familien gab. Man denke an ungleiche Verteilung bei der (unbezahlten) Care-Arbeit, sowohl unregelmäßiges als auch geringes Einkommen, u.U. kein Anspruch auf Mutterschutz und Elternzeit. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, das den Freiberuf im Allgemeinen und natürlich als schwächstes Glied die Familien betrifft, und auf das etwa der bbk berlin (berufsverband bildender künstler:innen berlin) immer wieder in Pressemitteilungen hinweist. Hätte es in Bremen keine individuellen Kunststipendien während der Pandemie gegeben, für die man keinen Ausfall eines Einkommens, das ohnehin schon gering ausfällt, nachweisen musste, weiß ich nicht wie viele von uns sonst gerade jetzt in reale existenzielle Not geraten wären, denn einen finanziellen Engpass erlebt der Kulturbereich in all seinen Sparten.

1 In diesem Text habe ich versucht, eine möglichst neutrale Sprache zu wählen, um grundsätzlich keine Personen auszuschließen. Wo dies nicht bis ins Detail funktioniert hat, freue ich mich über einen Kommentar, denn ich möchte dazulernen.

Außerdem ist es mir ein Anliegen, dass das Thema „Kunst und Kind“ ent-tabuisiert wird. Darüber mit anderen Eltern zu sprechen und aus erster Hand als Künstlerin und Mutter darüber öffentlich zu schreiben, ist mein erster persönlicher Schritt in diese Richtung. Ich gehe für diesen Artikel meine Aufzeichnungen und das Auto-Transkript zum Zoom-Gespräch durch, bei dem ich mich im vergangenen Juli mit einigen Eltern aus dem Künstler:innenhaus* am Deich (Nadja Quante: Künstlerische Leitung/Kuratorin Künstlerhaus Bremen; Julia Dambuk, Carolin Klapp, Karin Demuth: D.O.C.H. Kollektiv; Norman Neumann: Künstler; Michael Rieken aka Paul Michael von Ganski: Künstler und Musiker), einer Gästin aus Montpellier, Frankreich (Nadia Lichtig: Kuratorin, Künstlerin und Professorin) und Anna Blahaut als technische Assistenz zusammengesetzt und bei dem wir uns darüber ausgetauscht haben, welche Erfahrungen wir persönlich mit der Elternschaft gemacht haben. Diese Erfahrungen und Wünsche sind in folgendem Artikel als Zitate repräsentiert. Zunächst drängt sich im Gespräch eine grundsätzliche Frage auf: Wie kommt es denn zustande, dass der Kunstbetrieb in Deutschland so familienfeindlich eingestellt ist? Sind Kinder unser Privatvergnügen? Ich frage mich indessen weiter: Leidet die Qualität der Kunst an einer Elternschaft? Warum drehen sich die Gespräche auf allen Ausstellungseröffnungen weniger um meine Arbeit, als darum, wer heute Abend auf mein Kind aufpasst? (Bitte ignoriert meine Augenringe!) Und was uns alle brennend interessiert: Kann die Kunst von Kindern profitieren, statt sie zum Ausschlusskriterium zu machen? Was ist ganz konkret in Bremen möglich?

Ich finde es sehr schade, dass das alles so seltsam ist. Bevor ich schwanger wurde, habe ich nicht wirklich darüber nachgedacht. Und mir ist dann aufgefallen: Die meisten Künstlerinnen bekommen keine Kinder, oder höchstens eins. Wenn sie zwei bekommen, dann ist das schon mutig. (lacht) Ich kenne viele, die keine Kinder haben, die sich bewusst dagegen entscheiden. Aus finanziellen Zwängen, aus Angst vor Veränderungen oder dem Mangel an Zeit.

Ich empfand die Elternschaft als große Bereicherung für mein Tun, deshalb empfinde ich es als so wichtig, dass das Thema ent-tabuisiert wird. Künstlerin und Mutter sein schließt sich nicht aus! Es ist interessant, dass es in Frankreich selbstverständlicher ist, Familie im Kunstbetrieb mitzudenken. Warum ist es in Deutschland nicht so? Warum sind Kunstveranstaltungen zum größten Teil für Erwachsene, und warum gibt es extra Kunstveranstaltungen für Kinder? Warum ist es nicht selbstverständlich, das zu kombinieren? - Julia Dambuk

Eine der größten Ungerechtigkeiten ist, wie ich finde, dass Selbständige – wie freischaffende Künstler:innen – keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben. Ich kenne viele, die deswegen bis kurz vor dem Kreissaal gearbeitet haben. Und auch dann in der Elternzeit, ist es durch die prekären Umstände und die sowieso geringen Einkünfte von Künstler:innen allgemein, die sich wiederum auf die Höhe des Elterngelds auswirken, schwierig, sich einfach nur auf die Elternschaft zu konzentrieren. (…)

In Bezug auf Kinderbetreuung bei Kunstveranstaltungen denke ich naturgemäß als Veranstalter:in, dass dies nicht auf Kosten der Ausstellungs- oder Projektbudgets gehen kann, die sowieso nicht so groß sind. Es ist für eine kleine Institution schon schwierig, Künstler:innenhonorare zu zahlen. Es müsste eigentlich einen unabhängigen Fond geben, weil Zugänglichkeit von Bildung und Kultur schließlich auch ein Anliegen der Gesellschaft ist, und die Problematik gar nicht unbedingt Kunst spezifisch. Es ist vielmehr veranstaltungsspezifisch, dass Eltern Kinderbetreuung brauchen, um teilnehmen zu können. Ich empfinde es aber auch als wichtig, nicht immer vorauszusetzen, dass die Kinder nicht mit dabei sein können. - Nadja Quante

Mir fällt ein Monopol Onlineartikel ein, in dem die Künstlerin Hannah Cooke fordert: „Der Kunstbetrieb muss elternfreundlicher werden“ und sich gegen eine Kunstwelt stellt, in der es normal ist, kinderlos zu sein, da Kinder nicht in die Karriere einer Künstlerin integriert werden könnten. Genau das können wir alle, besonders die Hauptbezugspersonen bestätigen: Der Zugang zu Stipendien, Galerien, Ausstellungsbeteiligungen usw. ist erschwert, sobald ein Kind die Bühne betritt. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf das Kind. Aus erster Hand kann ich auch selbst berichten: Es wird (ernsthaft) erwartet, dass man ein Aufenthaltsstipendium alleine antritt. Es gibt praktisch keine Hilfestellungen, wenn man sich entschließt trotzdem als Familie anzureisen, geschweige denn einen Zuschuss für die Kinderbetreuung. Denn allein, dass man trotz gleichzeitiger Verantwortung für ein Kleinkind überhaupt für ein Kunststipendium ausgewählt wurde, sei ja schon eine große Ausnahme…und angesichts der finanziellen Lage der meisten Kunsthäuser ist das leider verständlich. Die Alternative ist auf Bewerbungen um Stipendien als Einkommensquelle im Hauptberuf ganz zu verzichten und stattdessen alle möglichen Nebenjobs anzunehmen, die man sich ausdenken kann.

Ich habe mich zuerst blauäugig gefreut, dass in letzter Zeit viele Ausschreibungen gezielt an Künstler:innen mit Kind gerichtet sind, jedoch wurde mir bei genauem Hinsehen klar, dass oft entweder die Rahmenbedingungen (noch) nicht stimmen (zB. Bauarbeiten, welche die Durchführung einer „normalen“ Residency nicht möglich machen) oder nicht genau geguckt wird, wer die Unterstützung in Form eines Arbeitsstipendiums wirklich dringend nötig hat und wer ohnehin schon gut mit seiner Kunst verdient. Was tatsächlich in diesem Zusammenhang toll ist, ist dass es Organisationen für Eltern in der Kunst gibt: kunst + kind berlin und Mehr Mütter für die Kunst Hamburg beispielsweise, welche sich gezielt für Eltern und speziell Mütter einsetzen, indem sie etwa Stipendienauslobende anschreiben und konkret fordern, dass z.B. die Altersbeschränkung als Bewerbungskriterium überdacht wird. Das zeigt, dass es nicht an künstlerischer Motivation in den Reihen der Eltern fehlt, sondern die Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, damit wir nicht bodenlos erschöpfen und prinzipiell aus dem Kunstbetrieb fallen.

Ich habe den Eindruck, dass der Druck auf die Mütter in Deutschland schon sehr stark ist. Ich glaube, dass man eigentlich gar nicht so viel erwartet von einer französischen wie von einer deutschen Mutter. Es gibt nämlich in Frankreich einen ganz anderen politischen Ansatz, über den man auch diskutieren kann. Es ist gar nicht so einfach für Deutsche in Frankreich, das als gegeben zu akzeptieren, weil wir einfach anders aufgewachsen sind. Aber es ist so, dass einfach mit der Fremdbetreuung im 17. Jahrhundert ein Bruch vollzogen wurde. Heute wird es ganz allgemein akzeptiert, dass man die Kinder ab dem 6. Monat in die Kinderkrippe tut. Das habe ich auch nicht gemacht, denn ich konnte es nicht. Aber die Franzosen gehen einfach davon aus, das es alle überlebt haben, dass alles okay ist, und dass die Kinder sowieso mit 18 Chips essen, vorm Fernseher sitzen, also dass sie alle normal werden. - Nadia Lichtig

Kulturelle Unterschiede in verschiedenen Ländern generell im Umgang mit externer Kinderbetreuung zeigen, dass es grundsätzlich möglich ist, die solidarischen Strukturen einer Gesellschaft zu verändern. So ist es in Japan beispielsweise heute oft so, dass das eigene Kind in den ersten Jahren zu Hause betreut wird, wenn nur ein Elternteil erwerbstätig ist, da es auch in Japan einen Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen gibt; währenddessen gab es in Frankreich in der wohlhabenden Bevölkerung schon im 17. Jahrhundert (!) eine Tradition der Fremdbetreuung durch Ammen, bei denen sogar Babys im Alter von wenigen Monaten von der Mutter abgestillt und abgegeben wurden, um das nächste Kind zu empfangen.⁵ In Deutschland liegen wir irgendwo dazwischen - egal wie früh oder spät man das eigene Kind „loslässt“, erntet man unter Umständen Kritik, die einerseits in Richtung „Rabenmutter“ und andererseits in „Überfürsorge“ geht.⁶ Sehr interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Entstehung des „Muttermythos“, der genauso konstruiert ist wie auch der Mythos vom „Künstlergenie“, auf den ich hier nur in einer Fußnote aufmerksam machen möchte.⁷ Unabhängig davon also, wie man persönlich zur Fremdbetreuung von Kindern eingestellt ist, ist eines sicher, nämlich dass es speziell für freiberuflich Tätige mit Kind nur wenige bis kaum verfügbare solidarische Strukturen gibt, egal in welchem Land man sich befindet.

Bei meiner Recherche zu Family Residencies, die ich während meiner eigenen Elternzeit begonnen habe, ist mir in diesem Zusammenhang das Open Source Projekt „An Artist Residency in Motherhood“  von der britischen Künstlerin Lenka Clayton aufgefallen. Da es ihr bei der eigenen Recherche ähnlich wie mir erging, hatte sie sich als frisch gebackene Mutter ihr eigenes Residenzprogramm (für zu Hause) ausgedacht, selbst durchlaufen und für andere Mütter zugänglich gemacht, indem sie ein DIY Residency Kit mit offiziellem Einladungsschreiben, Strukturplan, Visitenkarte zum Ausdrucken, Türschild u.ä. online zur Verfügung stellt. Man kann sich also bei ihr „bewerben“, und einfach drauf los arbeiten. Es gibt kein Barstipendium, jedoch kostet es auch nichts und ist ortsunabhängig. Ein geniales eigeninitiiertes Projekt - für das Clayton mehrere Preise gewonnen hat. Wie erfolgreich die anderen Projektteilnehmer:innen diese Residency ohne finanzielle Zuschüsse bearbeiten können, ist sehr individuell. Ich selbst habe im ersten Lockdown 2020 quasi unfreiwillig daran teilgenommen, und dieses ganze Paket hat mich so erschöpft, sodass ich im zweiten und dritten Lockdown nur noch am Küchentisch saß und weinte, weil wir als Freiberuflerin und Kunststudent dazu angehalten waren, unser Kind nicht zur Notbetreuung in unsere Kita zu bringen. Aber davon können wir alle ein Lied singen.

Informationstext über das Verhältnis zwischen Familie und Arbeit in Japan, geschrieben für Kinder

Margarete Moulin mit einem Bericht aus dem Alltag einer Mutter in Frankreich: Liebe auf Distanz

Dazu „Erwerbstätigkeit von Frauen und Kinderbetreuungskultur in Europa“, Hrsg. bpb - Bundeszentrale für politische Bildung

Katja Grach - Die Erfindung der Mutterrolle

Video: brankart by Branka Čolić

Ich hatte mal für ein Auslandsstipendium in Kolumbien ein DAAD Stipendium und schon den Sprachkurs, eine Impfung und meinen Flug bezahlt bekommen. Und dann habe ich gemeint: „Ich würde gerne, also ich muss mein Kind mitnehmen. Kann ich einen Zuschuss für den Flug haben?“ Und dann wurde mir gesagt: „Nee.“ Also habe ich ganz konkret zurück gefragt: „Wollen Sie mir jetzt sagen, dass ich mein Stipendium nicht wahrnehmen kann, weil ich eine Mutter bin?“ Und dann kam die Antwort: „Ja, wenn Sie das nicht anders organisieren, dann heißt das: Pech gehabt.“ - Karin Demuth

Ich war nach dem letzten Lockdown im März, als man gerade wieder in die Kunsthalle gehen konnte, auch mit meinem Sohn in die Kunsthalle gegangen. Und ich fand, es war ein gutes Erlebnis. Er hat manchmal ein bisschen zu laut gesagt, was er auf den Bildern sieht, aber grundsätzlich fand er es auf jeden Fall spannend und hat danach richtig gut geschlafen. (lacht) Deswegen ist Kunst und Kind meiner Meinung nach etwas, was man nicht so schon von Anfang an ausschließen sollte. - Carolin Klapp

Diese besondere Herausforderung, die zur Zeit alle Eltern im Homeoffice betrifft, hat jedoch auch positive Aspekte hervorgebracht: Durch Zoom Meetings, online gestreamte hybride Ausstellungseröffnungen und Konzerte, digitale Rundgänge, Podcasts und Künstler:innengespräche via Insta Lives, Kulturveranstaltungen im Freien, usw. kommen zur Zeit viele neue Möglichkeiten der Teilhabe an einer Community hervor, die auf langfristige Sicht flexible Strategien aufzeigen, die sich auch Eltern im Kulturbereich zu Nutze machen können. Wenn es etwas gibt, das ich während der oben genannten „Residency in Motherhood“ wie ein Schwamm aufgesaugt habe, dann ist es: Ich arbeite nicht trotz meiner Mutterschaft, sondern mit ihr. Ich bin nicht reduzierbar weder auf das eine noch das andere, sondern ich bin hier und dort und auch mal ganz woanders.

Weitere im Zoom Gespräch oft genannte Veränderungen in der eigenen Arbeitsweise durch die Elternschaft waren unabhängig von Alter, Gender, Wohnort oder Beruf: Effizienz, Entschleunigung, Pause, Neuorientierung, also eine Art von Detox. Diese Art der Veränderung ist fruchtbar, und kann dazu führen, dass gerade das Zusammenleben mit Kindern auch zu ganz neuen interessanten künstlerischen Arbeiten inspirieren kann. Jedoch führt eine Erschöpfung zum Dropout aus der Kunstwelt, was oft tragischerweise schon als selbstverständlich gegeben akzeptiert wird. Wir brauchen also dringend neue (Denk-) Räume MIT Kindern!

In diesem Zusammenhang finde ich die Idee inspirierend, dass es auch eine „Residency for Artists on Hiatus“ gibt, bei der bewusst nichts getan wird. Oder etwas ganz anderes, z.B. gärtnern. Denn im Nichtstun liegt ja oft die Kreativität verborgen. Und eine gute Idee kommt beim Duschen. Oder manchmal auch beim Autospielen.

Video: The Language with you #3 by Jin Murata

Ich finde es total interessant, was sich da in der künstlerischen Praxis verändert. (…) Meine Tochter Colline ist inzwischen 11, fast 12 Jahre alt und verfolgt eine sehr intensive musikalische Praxis, die mich wiederum in meiner Arbeit beeinflusst. Zum Beispiel ist die nächste Arbeit, an der ich jetzt gerade arbeite, eine Komposition. Und ich frage mich sogar, ob ich sie dann nicht mit einbeziehe, ob sie dann nicht Teile spielt; sie spielt nämlich Geige. Bisher habe ich sie eigentlich nie direkt in meine Arbeit einbezogen. Aber das ist nun das erste Mal für mich, wo ich sage: Okay, das ist jetzt mal so. Weil ich sie einfach täglich spielen höre und mich das inspiriert. Das „arbeitet“ sich irgendwie in den eigenen Prozess ein. - Nadia Lichtig

Was können (Künstler-)Kinder zu einer Transformation der Community beitragen? Genauso wie wir von unseren Kindern und etwa von ihrem freien Blick auf die Welt, die sich in Kinderzeichnungen zeigt, beeinflusst werden, lernen unsere Kinder gleichzeitig ja von uns. Wenn ein Kind damit aufwächst, dass zuhause über Kunst und Kultur gesprochen oder angeguckt wird, wenn künstlerisch gearbeitet oder musiziert oder getanzt wird, wenn es kreative Strategien von uns lernt, wie man mit geringem Einkommen auskommt, welche verschiedenen Berufe es gibt, dass man mit Eigeninitiative etwas bewegen kann - das könnte etwas sein, wovon es später auch in anderen Bereichen (wie sogar beispielsweise im Kampf für das Klima) profitiert. Und dazu muss es nicht selbst Künstler:in werden. Wenn es in Kunsthäusern Workshops mit Kindern gibt, Kinder Theater spielen, musizieren, lernen sie spielerisch die Kunst mit ihrem eigenen Körper auf eine direkte Art und Weise kennen, und in ihrer Wiedergabe dieser Interpretation liegt vielleicht vor allem das Potenzial, uns Erwachsene zu inspirieren. In dieser Wechselbeziehung könnten Schätze vergraben liegen. Wenn Kinder bei unseren Arbeitsaufenthalten im In- und Ausland mitreisen, ist das frühe Bildung. Könnten genau diese Kinder vielleicht ein Anlass sein, um zumindest für eine bestimmte Weile den Leistungsdruck aus dem Kunstbetrieb herauszunehmen? Um eine andere Sichtweise einnehmen zu können, in der es nicht um Erfolg geht und die näher an der Freude an der Kunst selbst dran ist?

Ich mache mit einem Freund zusammen einige Male im Jahr Hörspiel Workshops oder kleine experimentelle Film-Workshops mit Kindern und Jugendlichen. Da gibt es dann doch immer einen roten Faden zur eigenen künstlerischen Arbeit, obwohl sich das bei mir eher unbewusst, ungeplant entwickelt. Und ich glaube, dass es anders gekommen wäre, wenn ich keine, also, wenn wir keine Kinder bekommen hätten. Ich würde sagen, ich setze mich in meiner eigenen Arbeit gar nicht so inhaltlich konkret mit der Elternschaft auseinander. Aber auf jeden Fall, wenn ich mir zum Beispiel Bilder anschaue, da gibt es ganz viel Inspiration. Und dieser „freie Blick“ - also ich fand es ja richtig spannend, als unsere Kinder angefangen haben, zu malen. Ich komme selbst aus dem Abstrakten und hab das immer so verstanden: Ich habe eine Idee von der Welt, die ich abstrahiere. Aber bei den Kindern habe ich irgendwie gemerkt, dass es genau andersherum ist: Die versuchen, eine Form zu finden von dem, was wir sehen, und am Anfang sind das so wilde Linien. Da hab ich von unseren Kindern auf jeden Fall viel gelernt, wie da so ein Weg in die Welt gefunden wird, wie sie begreifen und ein Bild schaffen. - Norman Neumann

Das Künstlerhaus Bremen* ist als Verein in seinen Strukturen schon familienfreundlich, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass die Mietdauer der Ateliers zusätzlich um ein Jahr Elternzeit verlängert werden kann. Ein Familienrundgang durch die Ausstellungen in der Galerie des Hauses und familienfreundliche alternative Uhrzeiten für die Eröffnungen sind im Gespräch. Auch ist es möglich, ein Gaststipendium des Hauses als Familie anzutreten. Die Helsinki Artist Residency, die das Haus zusammen mit der finnischen Institution HIAP (Helsinki International Artists Programme) jährlich ausschreibt, heißt ebenfalls Familien ausdrücklich willkommen, was sehr erfreulich ist. Trotzdem kann eine Kinderbetreuung nur durch Partner:in individuell kompliziert sein, oder für Alleinbegleitende gar nicht möglich. Da andere Institutionen vor demselben Problem stehen, dass es keine Gelder für diese Anliegen gibt, muss dafür ein eigener unabhängiger Fonds gegründet werden, in den etwa verschiedene öffentliche Stiftungen einzahlen können.

Unabhängig von finanziellen Fragen fehlen auch Richtlinien für ein Familienhandbuch, in denen Ressourcen und Informationen für einen Residenzaufenthalt mit Kind zusammengefasst sind. Ich werde mich persönlich an die Erarbeitung dieser Richtlinien wagen und freue mich über Anregungen in den Kommentaren. Solange spiele ich beim Surprise Surprise Wochenende mit meinem Sohn Eisenbahn im Sandkasten...und gönn' mir einen Drink.

* Das Künstlerhaus Bremen ist zur Zeit im Prozess einer Namensänderung.

Die Frage nach Schule, und wie gestaltet sich Schule? Und, was interessiert mich in meiner künstlerischen Praxis? Da sind es ja auch immer Räume, die mich interessieren: Räume, in denen man sein kann. Und das hat auch finde ich ganz viel mit Schule zu tun, oder auch mit Kindergarten. Ich will, denke ich, ganz konkret Räume für meine Kinder schaffen. Also Räume, in denen man gut sein kann, also die eine Qualität haben, die Inspiration, und die, ja, Kreativität, wenn man das Wort so nennen mag, fördern. Und dadurch, dass man mit Kindern zusammen ist, gibt es darüber viel Nachdenken, auch über Räume, und darüber, welche Qualitäten Räume haben müssen, auch künstlerische Räume. Also, das heißt, wenn ich eine Rauminstallation mache oder solche Dinge, dann spielen diese Fragen, die ich im Zusammenhang mit Kindern habe, für mich eine ganz ganz große Rolle.

Wie müssen diese Räume aussehen, wie muss die Kunst aussehen oder die Musik aussehen, die auf einmal auch nicht nur Erwachsene anspricht oder nicht nur ein bestimmtes Publikum anspricht? Die nicht nur die Erwartungen erfüllt, die vielleicht da sind, von den Kindern oder von anderen Leuten, die Kunst fern sind? Wie kann man Situationen schaffen, die eine Erweiterung vom Alltag sind? Diese Fragen sind für mich vor allem in Bezug auf die Kinder wichtig. Da gibt es dann vielleicht eine gewisse Kompetenz, die gerade die Künstler:innen mit Kindern haben. Darin, dass diese Kompetenz auch in die künstlerische Praxis umsetzbar ist, liegt ein Riesenpotential. - Michael Rieken